Flexibilität und Sicherheit - Deutschland im internationalen Vergleich

In diesem Kapitel beginnt der Verbund eine Analyse des deutschen Produktions- und Sozialmodells als „Umbruchsfall“ im internationalen Vergleich. Aufgrund der Bedeutung der Europäischen Union als neuer Governance-Ebene für die bundesdeutsche Entwicklung erscheint es sinnvoll, Deutschland zunächst schwerpunktmäßig mit europäischen Ländern zu vergleichen.
Vorgesehen ist eine mehrstufige Bearbeitung in drei Teilschritten: Auswertung von Regime-Typologien, statistische Analysen für die EU-Länder, vertiefende Ländervergleiche zu einem ausgewählten Themenbereich.

Auswertung von Regime-Typologien

Verschiedene Bereiche der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften beschäftigen sich im Zusammenhang mit einer zunehmenden Internationalisierung wirtschaftlichen Handelns und politischer Regulierung intensiv mit Unterschieden in der sozioökonomischen Struktur und Entwicklungsdynamik kapitalistischer Gesellschaften. In einem ersten Arbeitsschritt sollen in einer Literaturstudie bisher erarbeitete international vergleichende Ländertypisierungen ausgewertet werden: insbesondere institutionelle Ordnungen politischer Ökonomien (idealtypische Kapitalismus-Modelle), Wohlfahrtstaatsregime, Genderregime, Arbeitsmarktregime, Bildungsregime, Lebensverlaufsregime, familienpolitische Regimetypen. Die Analyse soll identifizieren, welche zentralen Beobachtungsdimensionen diesen Ansätzen zur Systematisierung internationaler Komparatistik gemeinsam sind und welche Indikatoren für Ländervergleiche im Rahmen des sozioökonomischen Berichtsansatzes nach Möglichkeit zu berücksichtigen sind. Die Literaturstudie kann auch erste Anhaltspunkte dafür geben, welche Länder nach Möglichkeit für vertiefende Ländervergleiche auszuwählen sind („kurze Liste“).

Statistische Analysen für EU-25

Ein erster Zugang zur Vielfalt sozioökonomischer Modelle auf europäischer Ebene besteht darin, durch deskriptive und multivariate Analysen die relative Position Deutschlands in EU-Länder-Clustern zu bestimmen. Eine solche Analyse ermöglicht es auch, Korrelationen, Zielkonflikte und „trade-offs“ zwischen verschiedenen Zielbereichen (etwa zwischen Beschäftigung und sozialem Zusammenhalt) aufzuzeigen.
 
Für diesen Arbeitsschritt sollen zunächst Makrodaten genutzt werden, die in längeren Zeitreihen harmonisiert verfügbar sind. Die EU-Strukturindikatoren bieten für EU-25 sowie ergänzend für die USA und Japan harmonisierte Daten in vergleichbarer Qualität. Diese Datenliste ist aber zugleich zu umfangreich und zu schmal: sie ist einerseits schon vieldimensional und relativ unübersichtlich, andererseits für die Abbildung komplexer Ländermodelle im Sinne dieses Berichtsansatzes immer noch unzulänglich. Bevor geeignete Verfahren zur analytischen Verdichtung der verfügbaren Indikatoren (etwa Clusteranalysen, multidimensionale Skalierung) gewählt werden können, ist eine Auswertung von Evaluationsstudien unerlässlich. In der Beschäftigung mit den Strukturindikatoren soll auch versucht werden, geeignete methodische Indikatorklassifikationen vorzunehmen, d.h. z.B. Performance-Indikatoren, Politik-Indikatoren, Wahrnehmungsindikatoren zu unterscheiden. Zudem sind die EU-Strukturindikatoren nur für vergleichsweise kurze Zeiträume verfügbar. Um gemäß der Umbruchsperspektive Entwicklungen über längere Zeiträume in den internationalen Vergleich einbeziehen zu können, ist daher zu prüfen, ob ergänzend ein vereinfachter Datensatz in langer Zeitreihe, etwa auf Basis von ILO- oder OECD-Daten, verwendet werden sollte. Neben harmonisierten Makroindikatoren kommen für den Vergleich weiterer ausgewählter Merkmale am aktuellen Rand auch neuere Mikrodatensätze in Betracht.

Vertiefende Ländervergleiche

Vertiefende Ländervergleiche sollen für ausgewählte Länder und Gegenstände quantitative Performance-, Politik- und Bewertungsindikatoren vergleichen. Für die Interpretation solcher Vergleiche ist über geeignete Indikatoren hinaus eine „dichte Beschreibung“ der nationalen Regulierungsarenen für die ausgewählten Gegenstände erforderlich, die das Zusammenspiel von Regulierung, Produktion und Lebensweise erfasst. Ziel dieser Vergleichsmethode sollte es sein, auf europäischer Ebene regimespezifische „Umbruchskulturen“ zu identifizieren, d.h. zu zeigen, wie verschiedene Produktions- und Sozialmodelle mit den Anforderungen der Modernisierung des „europäischen Sozialmodells“ in einer internationalen Umbruchssituation umgehen.
 
Da solche Ländervergleiche sehr arbeitsaufwändig sind, sind sie im Rahmen des Berichtsvorhabens nur für wenige (höchstens drei) Vergleichsländer und ausgewählte Gegenstände zu realisieren. Zunächst ist eine Auswahl geeigneter Vergleichsländer zu treffen, die als „Ankerfälle“ für kontrastierende Regimetypen und EU-Ländergruppen stehen. Anschließend müssen die Vergleichsgegenstände festgelegt werden. Im zweiten Bericht soll sich der vertiefende Ländervergleich auf den Themenkreis der Abt. II (Haushalts- und Familienstrukturen, Erwerbs- und Verdienermodelle, marktförmige oder öffentliche Substitution informeller Hausarbeit durch personengebundene Dienstleistungen, ggf. auch Zeitmuster und Arbeitsteilung im Haushalt) konzentrieren.
 
Schließlich ist zu klären, mit welchen Umfragedatensätzen diese Vergleichsgegenstände am aktuellen Rand am besten abgebildet werden können und ob außer gesamtdeutschen Daten auch Werte für West- und Ostdeutschland in den Vergleich einbezogen werden sollen.
 
Neben deskriptiven Ländervergleichen sollten multivariate Verfahren zeigen, in welchem Umfang sich die in den Indikatoren dargestellte Varianz etwa durch regimespezifisch unterschiedliche Einstellungen oder Regulierungsansätze erklären lässt.