Projektinhalt

Das Forschungsprojekt, das von der Arbeitsgemeinschaft Sozialwissenschaftliche Technikforschung Niedersachsen gefördert wurde, untersucht die Rolle des Autos im Alltag von Familien mit Kindern. Die empirische Grundlage bildeten 60 qualitative Interviews, die mit Beschäftigten einerseits der Landesverwaltung, andererseits von Volkswagen geführt wurden, und zwar unter Einbeziehung der jeweiligen Ehepartner.

Zentrale Ergebnisse:

  • Jeder Mensch hat einen Aktionsraum, der durch die Entfernung und Häufigkeit seiner individuellen Alltagsaktivitäten konstituiert und durch die verfügbaren Verkehrsmittel, zu denen heute im Normalfall auch das Auto gehört, ermöglicht wird. Dieser Aktionsraum steht im allgemeinen nicht zur Disposition: teils weil er, wie der tägliche Weg zur Arbeit, erzwungen erscheint (obwohl dieser "Zwang" oft das geronnene Ergebnis früherer Entscheidungen, z. B. über den eigenen Wohnstandort, ist); teils weil er, wie viele Freizeitaktivitäten, als sozialer Besitzstand betrachtet wird, den man nicht einzuschränken bereit ist. Eine Rückkehr zu einem Leben der kurzen Wege würde, sofern überhaupt möglich, als unzumutbarer Verlust beruflicher und individueller Entfaltungsmöglichkeiten, sozialer Kontakte und Lebensqualität gesehen. So weit der Aktionsraum das Auto voraussetzt (was fast immer der Fall ist), macht es dessen Nutzung stets aufs Neue erforderlich, insbesondere dann, wenn keine zumutbar erscheinenden Alternativen in Sicht sind.
  • Die Geburt eines Kindes bedeutet einen (familien-)biographischen Einschnitt, der meist die familiäre Autoabhängigkeit erhöht. Meist nimmt vor allem die Autoabhängigkeit der Mutter zu: Auch wenn sie mit der Geburt des Kindes - zumindest vorübergehend - aus der Erwerbstätigkeit ausscheidet (und hier ihren Aktionsraum einschränkt), übernimmt vor allem sie aufgrund der fortbestehenden geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung die Kinderbetreuung und die damit anfallende familiäre Mehrarbeit. Mit dem zusätzlichen Argument, daß für den Fall einer plötzlichen Erkrankung des Kindes immer ein Auto vor der Haustür stehen müsse, bekommt sie, wenn es im Haushalt nur ein Auto gibt, dessen Verfügung zugesprochen, was wiederum bedeutet, daß sie nun erst Recht für die familiäre Versorgung zuständig wird. Es kommt zu einem innerfamiliären deal, dessen Inhalt der Tausch Verfügung über das Autogegen Übernahme der familiären Mehrarbeit ist.
  • Ein Faktor, der diese Entwicklung verstärkt, ist der für diese Phase typische Elternbeschluß, sich im (vermeintlichen) Interesse der Kinder eine Wohnung in der städtischen Peripherie zu suchen. Das vorhandene Auto erleichtert die Entscheidung, mit den Kindern "ins Grüne" zu ziehen, die ihrerseits die familiäre Autoabhängigkeit erhöht.
  • Die Notwendigkeit, im Alltag über ein Auto zu verfügen, verstärkt sich für die Mutter, wenn das Kind in den Kindergarten kommt und sie selbst - zumindest teilweise - in die Erwerbstätigkeit zurückkehrt. Zu dem Zwang, auch dies mit den vor allem ihr zufallenden Familienpflichten zu vereinbaren, addieren sich die Anforderungen, die sich aus dem nun größer werdenden Aktionsraum der Kinder ergeben: Sie müssen zu Freunden begleitet und, was vielen Eltern heute schon früh am Herzen liegt, zu sportlichen und musischen Aktivitäten ermuntert und transportiert werden.
  • Was hier deutlich wird, ist die Kontextgebundenheit familialer Autonutzung, die sich nicht in situativen Kosten-Nutzen-Abwägungen erschöpft, sondern auch viele normative Momente enthält: welche Alternativen zum Auto zumutbar sind; was gut für die Kinder ist bzw. was eine gute Mutter zu tun hat; daß auch Mütter ein Recht auf Rückkehr in die Erwerbstätigkeit haben usw. Die ökomoralische Anforderung, die eigene Autonutzung zu minimieren, trifft auf eiene Situation, die auch normativ weitgehend determiniert ist. Dies erklärt das scheinbare Paradox, daß die Umweltschädlichkeit des Autos zwar bekannt ist, aber offenbar nur geringe Auswirkungen auf das individuelle Mobilitätsverhalten hat.
  • Daß trotzdem eine Dissonanz zwischen ökomoralischer Einsicht und eigenem Mobilitätsverhalten erfahren wird, die Spuren hinterläßt, zeigt sich bei den jeweiligen verkehrspolitischen Optionen. Auch wenn keine gesellschaftlich relevante Tendenz zum Ausstieg aus der Automobilität sichtbar wird, gibt es doch die Bereitschaft, sie auf politischem Weg teils zu domestizieren, teils zurückzudrängen, was Spielräume für entsprechende Inititativen eröffnet. Mit zwei wichtigen Einschränkungen: Die verkehrspolitischen Maßnahmen müssen sozial gerecht sein, und für den partiellen Autoverzicht müssen positive Kompensationen angeboten werden. Eine Anforderung an die Politik, zu der sie gegenwärtig - mit punktuellen Ausnahmen - völlig unfähig zu sein scheint.