Projektinhalt

Im Kontext des Projekts GenDis standen Dienstleistungen, die als gesellschaftlich notwendig gelten können, etwa in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Sicherheit und Verwaltung. Diese werden auch in Zukunft immer nachgefragt werden, während die Angebotsseite zunehmend unter Druck gerät. Denn der Arbeitsmarkt ist in einer neuen Phase: Während in den vergangenen Jahrzehnten immer Sockelarbeitslosigkeit bestand und Arbeitgebern zusätzliche Arbeitskräfte stets verfügbar waren, blicken wir mindestens in den kommenden Jahren einer Vollbeschäftigung entgegen. Aus Arbeitnehmersicht hat dies Vorteile, doch verschärft es den Fachkräftemangel, sodass die Daseinsvorsorge zunehmend um Arbeitskräfte konkurrieren muss. Wenn öffentliche Güter ausreichend verfügbar gehalten werden sollen, müssen Arbeitsplätze im Bereich der Daseinsvorsorge aus Arbeitnehmersicht attraktiver sein als Arbeitsplätze in anderen Branchen. Trotz der hohen Gemeinwohlrelevanz gelten Arbeitsbedingungen, Anerkennung und Entlohnung aber häufig als verbesserungswürdig.

Um empirische Befunde zum Thema Fachkräftesicherung für öffentliche Güter beizutragen, untersuchte das Projekt auf Basis quantitativer Daten berufliche Belastungen, verglich Einkommenspositionen von Care-Berufen in Deutschland mit anderen europäischen Ländern, und analysierte Berufswechseln zugunsten oder zulasten dieser Berufe. Für die Berufsgruppe der Notfallsanitäter:innen wurden ausgewertet, für wie lange Berufsanwärter:innen, die sich noch in Ausbildung befinden, im angestrebten Beruf zu verbleiben erwarten. Vertiefte Untersuchungen wurden ebenfalls mittels Interviews mit Beschäftigten und Funktionsträger:innen aus den Bereichen Hebammenwesen, Berufsschulen, Polizei und Rettungsdiensten durchgeführt. Diese Analysen sollten insbesondere zu Karrierewegen, Berufsmotivation, Arbeitsalltag und Verbesserungsansätzen Aufschluss geben: Unter welchen Bedingungen sind Personen im Erwerbsalter auch in Zukunft bereit, sich beruflich für gesellschaftlich notwendige Dienstleistungen zu engagieren? Auf Basis komplexer ökonometrischer Modellrechnungen wurden Zukunftsszenarien in Abhängigkeit von politischen Entscheidungen und wirtschaftlichen und demografischen Entwicklungen berechnet. Regional Unterschiede spielten im GenDis-Projekt häufig eine Rolle, so z.B. in einer Clusteranalyse zu regionalen Profilen der Daseinsvorsorge. Ein Schwerpunkt wurde auf die Gegebenheiten in Südniedersachsen gelegt.

Das SOFI leitete das Projekt, wissenschaftliche Kooperationspartner waren die GWS (Gesellschaft für wirtschaftliche Strukturforschung mbH) und das BIBB (Bundesinstitut für Berufsbildung). Als Praxispartner nahmen das Amt für Regionale Landesentwicklung Braunschweig, die Gesundheitsregion Göttingen/Südniedersachsen und der Deutsche Caritasverband teil. Das Projekt wurde gefördert durch das BMBF (Bundesministerium für Bildung und Forschung).

Die Forschungsergebnisse zeigen, dass die Arbeit an gesellschaftlich notwendigen, personenbezogenen Dienstleistungen im Grunde durchaus attraktiv ist, solche Arbeit wird von den Beschäftigten insbesondere als subjektiv erfüllend wahrgenommen. Dies wird allerdings durch starke berufliche Belastungen eingeschränkt, die häufig vermeidbar wären, weil sie nicht aus der Arbeit resultieren, sondern vielmehr aus den bestehenden Rahmenbedingungen. Aus Sicht der Konsumenten ist ein weiteres Problem die regionale Ungleichverteilung des Dienstleistungsangebots; aufgrund der Interaktivität der Leistungserbringung müssen Dienstleistungsgebende nahe bei den Dienstleistungsnehmenden wohnen. Wenn ländliche Regionen aber nicht mehr als lebenswert wahrgenommen werden, wandern Personen im Erwerbsalter ab und es kommt dort die Daseinsvorsorge noch stärker unter Druck, was neue Abwanderungsbewegungen (auch älterer Menschen) auslöst. Die Folge kann noch stärkere regionale Polarisierung sein, in der die Peripherie ausblutet und die Städte zunehmend unter einer Überfüllungsproblematik zu leiden haben. Unser Befund ist, dass die Daseinsvorsorge in Deutschland in den kommenden Jahrzehnten zumindest lokal gefährdet ist – ein „weiter so wie bisher“ ist damit aus Sicht einer grundgesetzlich verbürgten Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse keine akzeptierbare Option. Die Frage nach Verbesserungsansätzen muss jeweils sehr berufsspezifisch beantwortet werden; vielversprechende Ansätze liegen teils in der Bezahlung, teils in der Arbeitsorganisation, teils aber auch schlicht in der Bekanntheit der Berufsbilder.

Erste Projektergebnisse wurden der Öffentlichkeit im Rahmen einer Fachtagung im September in Göttingen vorgestellt (siehe unter dem Reiter „Fachtagung 2022“ auch die Beiträge projekt-externer Wissenschaftler:innen). Ferner sind aus dem Projekt zahlreiche Veröffentlichungen als Zeitschriftenbeiträge und Arbeits- bzw. Diskussionspapiere hervorgegangen (siehe „Publikationen“). Insbesondere enthält der Sammelband „Fachkräfte für die Daseinsvorsorge: Heute hier, morgen weg?“ Beiträgen aller Projektbeteiligten und bildet die Forschungsergebnisse in ihrer Gesamtheit ab. Der Band erschien im Februar 2024 beim Verlag Nomos in der Reihe „Öffentliche Güter und Sozialer Zusammenhalt“.