Projektinhalt

Beobachtungen aus dem Inneren der "black box"

Die Qualität der Arbeitsvermittlung und der mit ihr zusammenhängenden Dienstleistungen zu verbessern, sollte eigentlich bei der Umsetzung der neuen Arbeitsmarktgesetzte im Mittelpunkt stehen. Was aber ist der Fall, wenn Leistungsberechtigte ihrem Arbeitsvermittler oder Fallmanager gegenübersitzen? Und wie wäre das Versprechen einzulösen, „moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ anzubieten? Die Leistungsprozesse selbst sind – bei allen Untersuchungen zur Implementation neuer Geschäftsmodelle, zur mikroökonomischen Wirkungsmessung und zur Akzeptanz der neuen Verfahren – bislang eine „black box“ geblieben. Ziel der Konzeptstudie war es daher, für den Rechtskreis der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) zu zeigen, was die unmittelbare Beobachtung der Fallbearbeitung zur wissenschaftlichen Begleitung der Arbeitsmarktpolitik beitragen kann.


Das Projekt wurde als Vorstudie zu einem größeren Untersuchungsvorhaben von Oktober 2005 bis Oktober 2006 im Auftrag des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit vom Soziologischen Forschungsinstitut (SOFI) an der Georg-August-Universität in Göttingen durchgeführt; es ist somit Teil der Wirkungsforschung nach § 55 SGB II. Die Bearbeitung von 20 Fällen bei drei Grundsicherungsträgern wurde im Längsschnitt – über sechs Monate hinweg – mit den Mitteln der nicht teilnehmenden Beobachtung möglichst vollständig nachvollzogen und dokumentiert. Dazu gehörte:

  • die Verfolgung des Fallverlaufs anhand von Dokumentationsverfahren und Akten,
  • die eigene Beobachtung und Transkription möglichst vieler Vorsprachen der Adressaten beim Grundsicherungsträger sowie die Berücksichtigung von Aufzeichnungen unbeobachteter Vorsprachen, sowie
  • persönliche leitfadengestützte Gespräche mit den Fachkräften, den Adressaten und möglichst allen Fallbeteiligten.


Im beschränkten Rahmen einer Konzeptstudie mit kurzer Laufzeit konnten weder regionale und organisatorische Varianten der Fallbearbeitung noch die Vielfalt sozioökonomischer Fallkonstellationen ausreichend erfasst werden. Doch zum ersten Mal entstand ein dichtes Bild des sozialen Handelns von Fachkräften und Adressat/inn/en im gesetzlichen Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende. So zeigt der umfangreiche Projektbericht bereits zentrale Setting-Merkmale und Problemzonen der Dienstleistungsarbeit bei den SGB-II-Trägern auf:

  • Der institutionelle „Aktivierungsauftrag“ muss durch einen persönlichen Auftrag der Arbeitsuchenden an die betreuenden Fachkräfte ergänzt werden. Jedoch trifft die Annahme eines Aktivierungsdefizits für die meisten Adressat/inn/en nicht zu. Die unbegründet hierarchische Rollenverteilung erschwert eine Dienstleistungsbeziehung.
  • Es entspricht nicht der prekären materiellen Lebenslage der Adressat/inn/en, die existenzsichernden Geldleistungen nachrangig zu behandeln und damit zusammenhängende Probleme aus der individuellen Dienstleistung auszuschließen. Und im arbeitsmarktnahen Kerngeschäft der Vermittlung müssten die Fachkräfte mehr Stellen- und Maßnahmeangebote anzubieten haben, um ihre Dienstleistung attraktiv zu machen.
  • Die Vorstellung von Fallmanagement als bloßer Steuerung von Leistungen, die an spezialisierte Dritte delegiert werden, bewährt sich nicht. Aufträge an spezialisierte Dritte sind unvermeidlich, aber der Persönliche Ansprechpartner (pAp) müsste in vielen Bereichen eine entspezialisierte Erstversorgung selbst übernehmen, damit ein Problem bearbeitet wird.


Der methodische Ertrag der Studie bestand darin zu zeigen, dass sich Arbeitsmarktdienstleistungen mit vertretbarem Aufwand und mit freiwilliger Beteiligung von Fachkräften und Adressat/inn/en beobachten und dokumentieren lassen. Daher macht der Forschungsbericht Vorschläge für die Anlage einer größeren Untersuchung, die alle möglichen Verfahrenselemente und Organisationsmodelle umfasst, längere Beobachtungszeiträume zulässt und so zu besser gesicherten Aussagen kommt. Der Bericht plädiert dafür, Arbeitsmarktforschung und Sozialstaatsforschung konzeptionell an die sozialwissenschaftliche Forschung zu personengebundenen Dienstleistungen anzubinden.

Der umfangreiche Endbericht und weiteres Material steht auf der SOFI-Website zum Download zur Verfügung. Erste Ergebnisse wurden auf der Fachtagung „Erfahrungen aus der lokalen Umsetzung des SGB II – Strukturen, Leistungsprozesse, Handlungsbedarfe“ am 3./4. Mai 2006 in Leipzig und auf dem IAB-Workshop „Qualitative Studien zum SGB II“ am 13./14. Juli 2006 in Lauf vorgestellt. Eine verdichtete Fassung des Abschlussberichts ist für die Reihe „IAB-Forschungsberichte“ in Vorbereitung, weitere Veröffentlichungen sind vorgesehen.