Kapitel 10


Projektion der sozioökonomischen Entwicklung bis 2020

Der sozioökonomischen Modellierung kommt für den Bericht eine doppelte Funktion zu: Zum einen soll sie Befunde an die makroökonomischen Datenbestände des Statistischen Bundesamts anschlussfähig machen und eine Brücke zu dessen sozioökonomischem Berichtsansatz bauen. Zum anderen soll sie es dem Verbund ermöglichen, Szenarien als zusätzliche, anschauliche Darstellungsform für Ergebnisse zu nutzen. Dabei werden Ergebnisse aus den stärker mikroanalytischen Berichtskapiteln als bedingende Variablen in Modellvarianten eingesetzt und auf mögliche gesamtwirtschaftliche Effekte geprüft.

Sozioökonomische Modellierung als Kooperationsprojekt

Im Sommer 2004 arbeitete eine interdisziplinäre Kooperationsgruppe Sozioökonomische Modellierung am Zentrum für interdisziplinäre Forschung (ZIF) der Universität Bielefeld daran, das umweltökonomische Modell PANTA RHEI der Gesellschaft für Wirtschaftliche Strukturforschung (GWS) Osnabrück, das auf dem gesamtwirtschaftlichen Modell INFORGE aufbaut, um erste soziale Module zu erweitern. Konkretes Modellierungsergebnis war das demografische Modell DEMOS, das mit Datenunterstützung durch das Statistische Bundesamt umgesetzt wurde. Ferner wurden erste Simulationsrechnungen über die Entwicklung des Arbeitsmarkts nach Qualifikationen durchgeführt.
Das Projekt Sozioökonomische Modellierung kooperiert eng mit dem Statistischen Bundesamt und dessen Sozioökonomischem Berichtssystem für eine nachhaltige Gesellschaft, das insbesondere mit der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung konsistente Sozialrechnungsmatrizen zu Einkommen, Konsum und Erwerbstätigkeit erstellt. Speziell für die Kooperation mit der sozioökonomischen Modellierung hat das Bundesamt zusätzliche „sozioökonomische Datenbausteine“ geliefert: tief gegliederte Zeitreihen (1991 bis 2002, teilweise 1995 bis 2004) zur Qualifikationsstruktur der Bevölkerung und der Erwerbstätigen nach ISCED, zu Haushaltsstrukturen sowie zu Einkommen, Konsum und Sparen sozioökonomischer Haushaltstypen.
Die Projektgruppe Modellierung und die beiden sozioökonomischen Berichtsansätze des Bundesamts und des Forschungsverbunds soeb standen im Mittelpunkt des 14. Wissenschaftlichen Kolloquiums (2005) im Statistischen Bundesamt 2005. Für 2007 ist eine gemeinsame Veranstaltung zur Anpassung des Bevölkerungsmodells DEMOS an die 11. koordinierte Bevölkerungsvorausschätzung und zu Modellierungsansätzen für haushaltsnahe Dienstleistungen für den Arbeitsmarkt geplant.
In der Phase der Konzeptentwicklung für soeb 2 beauftragte der Verbund die GWS, eine Expertise über die Möglichkeiten des Einsatzes von INFORGE/PANTA RHEI in der sozioökonomischen Berichterstattung zu erstellen. Die Expertise wurde bei der Planung des zweiten Berichts berücksichtigt.

Sozioökonomische Modellierung als integrierende Funktion

Bei allen methodischen und prognostischen Unsicherheiten sehr großer ökonometrischer Modelle kann die Modellierung in der Berichterstattung dazu dienen, die gesamt-wirtschaftlichen Effekte der Veränderungen einzelner sozioökonomischer Variablen in Alternativszenarien abzuschätzen. Bei solchen partiellen Szenarien handelt es sich um Sensitivitätstests, nicht um Prognosen: Die zu prüfenden Variablen werden nicht endogen modelliert, sondern als externe Schocks in ein Basismodell mit sonst konstanten Strukturen eingefügt. Die Ergebnisse lassen sich also nicht als Aussagen über eine mögliche künftige Entwicklung interpretieren, aber sie können durchaus anzeigen, wie stark das ökonomische System auf die Veränderung von Voraussetzungen und Annahmen reagiert.
INFORGE/PANTA RHEI wurde u.a. bereits im Verbundprojekt Arbeit und Ökologie für die Berechnung von Szenarien genutzt. Das Modell erfüllt aus Sicht des Verbunds wesentliche Voraussetzungen für die Modellierung partieller sozioökonomischer Szenarien: Es ist bereits relativ stark disaggregiert (etwa nach Gütergruppen und Konsumverwendungszwecken), gesamtwirtschaftlich konsistent an die Aggregate der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechung und des Welthandels angepasst und konzeptionell offen, d.h. es soll für die Modellierung von Zusammenhängen auf empirische Informationen zurückgreifen. Der ökonomische Datensatz enthält neben gesamtwirtschaftlichen Größen (z.B. Bruttoinlandsprodukt, Investitionen, Staatsausgaben, Steuereinnahmen) eine Vielzahl detaillierter Brancheninformationen (u.a. Entwicklung der Erwerbstätigen sowie der Löhne nach 59 Wirtschaftsbereichen und den Konsum der privaten Haushalte nach 41 Verwendungszwecken).
Um das Modell an die Bedarfe von Szenarien im Rahmen der sozioökonomischen Berichterstattung anzupassen, müssen Modell und Bericht über einen längeren Zeitraum parallel entwickelt werden.
In einem ersten Schritt wird das bestehende Modell INFORGE/PANTA RHEI aktualisiert und erweitert. Das für den Bericht genutzte Basismodell soll auf dem Datenstand August 2007 verfügbar sein und die Jahre 1991 bis 2006 als Stützzeitraum nutzen. Es soll wenigstens in den folgenden Punkten über den derzeitigen Modellierungsstand hinausgehen:

  • Erwerbstätige sollen nach Qualifikationsniveaus und Wirtschaftszweigen differenziert berücksichtigt werden, um über die Vorausschätzung nach Wirtschaftsbereichen im ökonomischen Modell INFORGE den zukünftigen Qualifikationsbedarf in Personen zu ermitteln.
  • Der Konsum der Privaten Haushalte wird differenziert nach ca. 40 Haushaltstypen mit den zugehörigen Konsummustern und deren Einkommensentstehung in die Modellierung integriert. So kann abgeschätzt werden, wie sich die Folgen der demografischen Entwicklung und der Einkommensverteilung, vermittelt über Vorausschätzungen der sozioökonomischen Haushaltstypen, auf das durchschnittliche Konsummuster und den Konsum insgesamt auswirken.

Dieses aktualisierte und erweiterte Modell dient im zweiten Schritt als Ausgangspunkt für einen „Basislauf“ („Business As Usual“ – BAU), bei dem sozioökonomische Größen (etwa Entwicklung der Konsummuster und der Qualifikationsprofile nach Branchen) als Trends fortgeschrieben werden. Dazu sollen, wo möglich, die vom Verbund ausgewerteten zentralen Datensätze genutzt werden. Im Ergebnis erhält man eine Abschätzung der zukünftigen Qualifikationsanforderungen und der Anzahl der Erwerbstätigen nach Branchen, der Haushaltstypen und ihrer Verteilung sowie der Konsummuster der privaten Haushalte, die vor dem Hintergrund der aktuellen Situation vom Verbund als plausibel angesehen wird. Ferner können die Wirkungsweisen von demografischer Entwicklung und ökonomischem Strukturwandel analysiert werden.
In einem dritten Schritt können von diesem Basislauf abweichende Alternativszenarien auf ihre Folgen für die ökonomische Entwicklung und für Arbeitsmarktsituation abgeschätzt werden. Mögliche Szenarien können sich auf die Veränderung der Haushaltsstrukturen, der Einkommensentstehung und der Konsummuster beziehen. Die Auswahl und Definition der Szenarien kann sich sowohl an aktuellen Entwicklungen als auch an Ergebnissen einzelner Arbeitspakete des Berichts orientieren. Zum Beispiel können Annahmen über Veränderungen bei der Haushaltsbildung, bei den funktionalen Einkommensarten und bei der Veränderung von Konsummustern, aber auch die Dynamik der Transformation privat geleisteter Arbeit in Dienstleistungsarbeit und Preisszenarien bei Energie in die Szenariobildung eingehen.

Ergebnisse

  • Gegenstände und Parameter sozioökonomischer Modellierung. [PDF]
  • Abschätzung der Möglichkeit des Einsatzes gesamtwirtschaftlicher ökonomischer Modelle und Daten zur Erweiterung der Soziökonomischen Berichterstattung. [PDF]
  • Abbildung web-1: Bevölkerungspyramiden für 2005 und 2020. [PDF]
  • Sozioökonomische Modellierung: Integration der Sozioökonomischen Gesamtrechnung (SGR) des Statistischen Bundesamtes in DEMOS II. soeb-Arbeitspapier 2009-5. [PDF]